Stadtgeflüster Nr. 1

Raus mit euch! Geht spielen!

Sich treiben lassen, seiner Phantasie freien Lauf lassen, die Natur – und sich selbst – entdecken und die Erlebnisse mit seinen Spielkamerädli teilen: Freie Zeit in der Natur ist für viele Kinder nicht selbstverständlich. Dabei wäre sie besonders wertvoll für eine gesunde Entwicklung. Wieso, weiss Dr. med. Markus Weissert. Im Interview mit dem Neuropädiater sprechen wir über den Sinn des zweckfreien Spiels und über unsere «Kinderpläne» für die Zwischennutzung Areal Bach.  


Die Stadt St. Gallen will bis 2030 kinderfreundlich(er) werden. Was verstehen Sie darunter?

Dass wir auf die Anliegen der Kinder eingehen und ihre Rechte respektieren. Eines davon besagt: «Jedes Kind hat das Recht zu spielen und in einer gesunden Umgebung aufzuwachsen.»  Wir sollten uns dafür einsetzen, dass diese Lebensqualität erhalten bleiben, gar noch verbessert werden. Entscheidend dabei ist, dass die Kinder dabei gefragt werden und sich einbringen können. 

Wieso engagieren Sie sich für das Projekt Areal Bach?

Für mich als Neuropädiater haben die gesunde Entwicklung der Kinder wie auch das Wohlbefinden der Bevölkerung hohe Priorität. Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass ein Grossteil der Kinder kaum noch eine Stunde pro Tag draussen verbringt. Die meisten Aktivitäten finden vorwiegenden drinnen, im Sitzen und oft vor einem Display statt. Diese Entwicklung braucht einen Gegenpool. Kindern benötigen attraktive Freiräume in der Natur, die gemeinschaftliche Erlebnisse, sprachliche Kommunikation und spielerische Bewegung fördern. Bei der Zwischennutzung auf dem Areal Bach sind solche naturnahen Spielräume mit grosszügigen Grünflächen eingeplant. Aus diesem Grund unterstütze ich das Projekt tatkräftig. 


Braucht es denn einen neuen Grünraum in St. Fiden? 

Meiner Meinung nach, ja. Das Quartier ist stark belastet durch Strassenverkehrsachsen, Bahn und Messeareal. Das Raumplanungsgesetz sieht vor, dass Siedlungen naturnahe Grünflächen mit Bäumen enthalten. Auf dieser gesetzlichen Grundlage hat die Zwischennutzung «Areal Bach» durchaus Potenzial, das Quartier aufzuwerten. Wir müssen in Zeiten des Klimawandels und der überbordenden Bautätigkeit mit immer mehr Verdichtung jede Chance zur Gestaltung lebenswerter Grünräume nutzen. Die Ausdehnung des Areals und seine Lage zwischen Bahnhof St. Fiden und Migros Bach bieten die optimalen Voraussetzungen für einen grosszügigen naturnahen Freiraum, der die Gesundheit und das körperliche, seelische und soziale Wohlbefinden – von Kindern und Erwachsenen – fördert. 

Was ist unter einem «naturnahen Freiraum» für Kinder zu verstehen?

Eine kreativ-gestaltbare Fläche, die Bewegungsaktivitäten in allen Formen ermöglicht und das zweckfreie Spiel fördert, was zu sozialen Kontakten führt und die Sozialkompetenz, das Gemeinschaftsgefühl und die Kommunikationsfähigkeit der Kinder positiv beeinflusst. 

Und wie sieht dieser bestenfalls aus? 

Einerseits beinhaltet er einen gut strukturierten Grünraum mit Bäumen, Hecken, Sträuchern – vielleicht sogar mit einer Blumenwiese. Anderseits verfügt er über Wege für Fussgänger, Kickboarder und Velofahrer und grosszügige Spielflächen. Diese sollen möglichst viele gestaltbare Elemente und Spielgeräte aus natürlichen Materialien wie Wasser, Sand oder Holz enthalten, so zum Beispiel Röhren, Schaukeln, Kletterbäume, Seilspielgeräte, Raumnetze, Baumstämme und Wasserspiele. Nebst einer Blumenwiese bietet eine Spielwiese Raum für Ballspiele. Den Kindern stehen Rückzugselemente wie kleine Holzhütten mit Sitzbank oder Nischen mit einfachen Holzbänken zur Verfügung. 

Welchen Einfluss haben solche Grünflächen auf die Entwicklung der Kinder?

Einen durchaus positiven. Im Kleinkindesalter gibt es ein wichtiges Entwicklungsfenster für die Motorik und die Wahrnehmung. Das Kind braucht Herausforderungen im Bewegungsverhalten zur Förderung von Koordination und Balance, zum Beispiel durch unterschiedliche Bodenbeschaffenheit, unversiegelte Wege, Bretter/Stämme zum Balancieren, Klettern und Springen. Diese Erfahrungen sollen möglichst alle Sinnesbereiche einbeziehen: Beobachten, Horchen, Riechen, Schmecken und Spüren. Solche Aktivitäten wirken prägend auf die Persönlichkeitsentwicklung, da die Kinder ihre Grenzen und Potenziale erfahren und lernen, mit Risiken umzugehen. Die Kontakte mit andern Kindern fördern die Kommunikation und damit auch die gesunde Sprachentwicklung. 


Und wie sieht es bei den Jugendlichen aus?

Wenn sie junge Erwachsene nach ihren Wünschen fragen, sind das Spielflächen für Ballspiele wie Fussball oder Basketball, aber auch gemütliche Plätze zum Chillen, Picknicken und Diskutieren. Ein Kiosk in der Nähe soll es haben und auch der Wunsch nach Natur und Wasser ist grösstenteils da.  

Wie kann die Bevölkerung solche Vorstösse unterstützen?

Indem es proaktiv eigene Initiativen anstösst und somit aufs gesellschaftliche und politisches Bankett bringt. Oder bereits angestossene Projekte aktiv unterstützt, die einen stimmigen Vorstoss für eine grünere und kinderfreundlichere Stadt wagen – wie die Zwischennutzung «Areal Bach». 

Haben Sie schon eine unsere Patenschaften abgeschlossen?

Klar! Ich will mit gutem Beispiel vorangehen. Wir haben verschiedene Pflanzenpatenschaften gezeichnet. Darunter sind auch Weihnachtsgeschenke für unsere Enkel. Ich bin also sehr daran interessiert, dass das Areal Bach realisiert wird – und ich auch ab und an freie Zeit mit ihnen dort verbringen darf. 




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Zur Person 

Dr. med. Markus Weissert ist Neuropädiater und war langjähriger Leiter der Neuropädiatrischen Abteilung am Ostschweizer Kinderspital. Zudem war er Mitglied der Kantonalen Sonderschulkommission St. Gallen. Er beschäftigt sich unter anderem mit den Auswirkungen der Umweltpädagogik auf die Entwicklung und die Gesundheit der Kinder.